Nun denn, mit etwas Verzögerung hier ist es, mein Wohnzimmer. Es ist hell und lichtdurchflutet, große Fenster durch die die Sonne scheint, ein gemütliches Sofa das zum Verweilen einlädt, es gibt Blumen und Pflanzen, ein weicher Teppich. Es riecht nach frischer Farbe, ich habe gestrichen, die Kissen sind neu, die Sofadecke ist frisch gewaschen. Es duftet auch ein wenig nach Vanille, das kommt von der Duftkerze auf dem frisch geputzten Couchtisch.
Ich habe mich nun seit Anfang Februar durch rauchfreie Zeiten gewurschtelt, gekämpft, gefreut, gelacht, geweint, gewütet und stehe doch wieder am Anfang.
Den Rückfall nach 44 rauchfreien Tagen habe ich nicht verwunden, ich war seither nicht nikotinfrei, habe Kaugummi und Spray benutzt. In meiner Welt heißt das dann „ach komm, hast ja eh noch Nikotin in Dir, da kannst Du auch gleich rauchen.“ Und das habe ich heute auch wieder.
Also. Alles auf Anfang. Aber nicht über den gleichen Weg.
Ich hatte mir in mein Offline-Tagebuch erst aufgeschrieben das ich nur 14 Tage einfach kämpfen muss, mit Kästchen für jeden rauchfreien Tag, dann ist das Schlimmste überstanden, sei nicht gefangen in Deiner Sucht stand da und „kämpfe jeden einzelnen Tag“, „sei frei“
Und dann fiel mir wieder etwas ein. Das Aufhören allein mit Willenskraft nicht funktionieren wird. Das es nicht funktionieren wird solange ein Teil von mir meint das ich etwas „aufgebe“ oder „verliere“, das ich auf etwas „verzichte“. Ich glaube das stimmt. Zu anstrengend auf Dauer. Und "kämpfe" klingt auch ganz furchtbar aggressiv finde ich. Mir zu starke Emotionen in dem Zusammenhang.
Mein Wohnzimmer heißt nun „Lass Los“ denn ich denke darum geht es für mich. Nichts ums Kämpfen gegen eine Sucht, das ist viel zu kräfteraubend, nein, viel einfacher, es geht ums Los Lassen.
Wie fing das Ganze denn überhaupt an? Mein Vater war Kettenraucher, wie alle Kinder fand ich das ganz furchtbar, ich hatte Angst um ihn, Angst das er stirbt, das Zeug ist ja giftig und macht krank, ich habe es gehasst. Ihm war das relativ egal was seine Familie davon hielt, geraucht wurde zu jeder Gelegenheit. Eines Tages hörte er dann damit auf. Einfach so. Ich war damals so etwa 12.
Wenn ich so darüber nachdenke wann und warum ich denn geraucht habe fällt mir eine Situation immer wieder ein. Ich sehe sie seit einiger Zeit immer wieder vor meinem inneren Auge. Da hatte ich geraucht weil ein Junge in den ich sehr verknallt war mich vor seiner ganzen Klicke abblitzen ließ. Es sollte sagen „schau her was Du mit mir machst, das tut weh, deinetwegen rauche ich jetzt“. Ich wollte seine Aufmerksamkeit und ich wollte seine Zurückweisung lindern und ich wusste sehr wohl auch mit 13 oder 14 das das selbstzerstörerisch war. Doof natürlich auch, aber das wollen wir an der Stelle mal einfach nicht werten ;-)
Schlüsselwörter in der Szene: Aufmerksamkeit, Zurückweisung, Selbstzerstörung
Später habe ich geraucht weil ich mit Gleichaltrigen nicht klar kam (oder sie nicht mit mir?) bei den Älteren in der Gruppe fühlte ich mich besser. Kiffen kam dann noch hinzu. Da befand ich mich in bester Gesellschaft. Als 16/17-jährige auf dem Gymi mit schwarzen oder roten Haaren und Auflehnung gegen Alles. Passte meinen Eltern natürlich so gar nicht.
Auch hier also wieder das Schlüsselwort Aufmerksamkeit? Zur Show-Stellung das die Zurückweisung der Gleichaltrigen mir nichts ausmachte?
Nehmen wir also mal die Worte Zurückweisung und Aufmerksamkeit als Schlüssel, ich könnte noch weitere Beispiele finden. Dann war es im Gegenpol aber wohl der (typische) Wunsch zugehörig zu sein. Aber auch eben nicht alleine sein. Geliebt zu werden.
So Madame... Wenn das nun der Grund/die Gründe sind weshalb ich mit dem Rauchen anfing, mal gut drüber nachdenken, können das noch Gründe sein warum ich mit bald 47 noch immer rauche? Wohl kaum. Das hat sich haltlos überholt. Das passt doch gar nicht mehr.
Lass das Mädchen das so kämpfte (um Aufmerksamkeit? um Liebe?) doch einfach hinter Dir. Du hast als 8jährige noch ins Bett gemacht und als 9 bis 12 jähre geklaut, das machst Du doch auch nicht mehr?! Ich brauche das Rauchen nicht mehr. So wie ich das Stehlen und Einnässen nicht mehr brauche bzw. lange hinter mir gelassen habe. Lassen wir also das Kind da wo es hin gehört und werden erwachsen.
Freu dich lieber! Sei frei und befreie Dich von der Vergangenheit.
Vielleicht (das dämmert mir so langsam) ist das auch genau der Grund warum der Wunsch aufzuhören mit einigem Abstand zum Tod meiner Mutter erst so richtig aufkam und das der Entzug mich so in die Trauer um meine Mutter zurück zog.
Das ist das frühere Leben. Als Kind, als Tochter, auch als erwachsene Tochter die sich kümmert und pflegt. Mit dem Tod meiner Mutter gibt es diese Rolle „Tochter/Kind“ nicht mehr.
Das tut einerseits weh aber es dämmert mir so langsam das es mir auch sagt „lass los“, zum Guten. Als Chance aus dieser ewigen Rolle raus zu wachsen. Sei erleichtert. Und auch die Zigaretten nicht mehr zu brauchen. Der Teil stirbt mit ihr und der Tochterrolle. Lass ihn los. Lass die Sucht los und freu Dich auf einen neuen Lebensabschnitt. Sei frei und freu dich auf die Zukunft!
Nicht kämpfen. Friedlich los lassen. Es nicht mehr brauchen weil es auch das Mädchen von damals nicht mehr gibt.
Es gibt keinen kleinen Suchtteufel der in meinem Kopf sitzt oder ein kleiner Gnom in meinem Kopf den ich einfach „nur“ aushungern brauche indem er kein Nikotin mehr bekommt. Die Sucht ist kein entkoppeltes „Es“. ICH bin süchtig, ICH zerstöre mich damit selbst. Kein Gnom, kein Teufel, kein Fremdkörper, sondern ich bin es. Höchstselbst. Und ich lasse dieses Ich jetzt gehen. Ich habe noch ein Leben vor mir, ein Freies. Das möchte ich haben.
Das klingt alles pathetischer als es soll, ein Teil meines Kopfes sagt, was machst Du denn für einen Aufriss, es ist eine dreckige Sucht, hör halt einfach auf mit dem Scheiß, hör auf drüber nachzudenken und mach einfach. TUN. Sei nicht immer so verkopft.
Aber „einfach“ scheint in dem Zusammenhang für mich eben nichts zu sein und wenn der Schlüssel sein kann nicht das Gefühl zu haben etwas aufzugeben sondern sich von etwas zu befreien, dann ist dieser Gedankengang mein Weg.