Liebe Alle,
erstaunlicherweise bin ich immer noch rauchfrei. Obwohl ich mir zwischendrin wieder Packungen gekauft habe. Allein der Kaufvorgang hat mich schon beruhigt.
In der Arbeit wurde mir ein Patient geschickt. Bekannte Alkoholabhängigkeit. Entzug aber durch, aktuell jedoch völlig fertig, schwitzend, schneller Puls, sichtlich überfordert, weiß nicht, wie es weiter gehen soll, traut sich nichts zu, weint, latent suizidal, etc. Ärzte ratlos, Alkoholentzug durch. Ich weiß, der Patient bezieht Leistungen, es ist Ende des Monats, ich vermute, er hat kein Geld mehr. Treffer. Aber hier im Krankenhaus braucht er doch eh nichts.
Leute, der Mann hat einen Nikotinentzug. Er bekommt von mir ein paar Zigaretten, die ich gekauft, aber nicht geraucht habe. Er beruhigt sich, ist absprache- und paktfähig, Puls geht runter, er ist geordneter und wir können jetzt reden.
Ich möchte gerne ehrlich sein und ein schwieriges Thema anschneiden. Vorneweg, ich gebe jegliche Garantie, dass ich mir nichts antue. Ich möchte leben. Und eventuell ist auch eine Triggerwarnung angebracht.
Ca 6 - 8 Wochen nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört habe, irgendwann im April, ging es mir sehr schlecht. Ich habe weiter alles gemacht, ich bin aufgestanden, habe mich geduscht, bin zur Arbeit gefahren, habe meine Wohnung sauber gehalten, etc. Aber innerlich war ich wie abgestorben. Ich hatte in der Arbeit Stress, nicht mehr, als sonst auch, habe den aber schon vermehrt durch den Raucherstop gespürt. Sonst gab es keine weiteren Auslöser.
Letztlich war ich in dieser Phase sowas wie suizidal. Um andere hier nicht auf falsche Ideen zu bringen oder gar zu inspirieren, nicht mehr dazu.
Ich schäme mich dafür. Nicht nur, aber auch, weil ich mit Menschen arbeite, die in schweren psychischen Krisen sind.
Wichtig ist, ich bin da raus.
Heute, knapp 6 Monate nach dem Rauchstopp fühle ich mich nicht stabil. Momentan suche ich eine ambulante Psychotherapie. Ob ich ich mich so wackelig fühle, weil ich mit dem Rauchen aufgehört habe, oder ob das auch mit Rauchen passiert wäre, vermag ich nicht zu sagen.
Seit dem Raucherstopp habe ich fast dauerhaft eine innere Anspannung. Die kenne ich aus Konfliktsituationen, nur früher ist diese Anspannung weg gegangen, wenn ich den Konflikt klären konnte.
Jetzt werde ich die Anspannung nur los, wenn ich schwimmen gehe, beim Sport bin oder lang und heiß dusche. Also nur punktuell.
Ich habe 10 Kilo zugenommen und bin extrem unglücklich damit. Sämtliche Gewichtsreduktionsmaßnahmen scheiterten bis jetzt.
Seit dem Raucherstop spüre ich vermehrt meine Malrotation (Anomalie des Darmes). Ich musste operiert werden und so richtig gut geworden ist es seither nicht.
Manchmal frage ich mich, warum die Renten - und Krankenkassen Menschen mit einem Alkoholproblem 12 - 15 Wochen stationäre Langzeittherapie zahlen, es da aber kein Äquivalent für Menschen mit einem Nikotinproblem gibt? An Nikotin sterben immerhin mehr Menschen, als an Alkohol.
Zwar fühle ich mich emotional sehr instabil, gleichzeitig bezüglich dem Rauchen sehr stabil. Ich will ein Jahr durchziehen. Ich will jede Situation, die so im Jahr vorkommt, eimal ohne Rauchen erleben.
Neulich war ich das erste mal wieder auf einem Konzert. Das erste Konzert, seit Corona, das erste Konzert ohne Rauchen. Und es war gar nicht so schlimm, wie befürchtet. Ich habe mich so sehr über die Life Musik gefreut und das Konzert genossen, dass ich genau einmal ans Rauchen gedacht habe. Beim Rückweg, als klar war, dass ich eine U Bahn verpasse.
Wenn das eine Jahr um ist, möchte ich ganz bewusst neu entscheiden.
Das ist immerhin ein Fortschritt. Ich denke in mehreren Monaten. Zu Beginn konnte ich nur in Stunden oder tageweise denken.
Nach knapp 6 Monaten ohne Kippen denke ich, ich habe das Rauchen zum einen benutzt, um meine innere Anspannung gut zu regulieren und zum anderen, um ein Filter zwischen mir und schwierige Situationen zu stellen.
Meine Probleme haben sich nicht groß verändert, ber ich habe das Gefühl, ich spüre sie anders, nehme sie anders/mehr/schlimmer wahr.
Um das zu verändern, in den Griff zu bekommen, wie auch immer, gebe ich mir min. 6 weitere Monate.
Und damits nicht nur negativ ist:
- Mein Konto freut sich über mehr Geld
- Meine Klamotten, meine Wohnung und ich riechen nicht mehr nach Rauch
- Mein Raucherhusten ist weg
So long, Danke, wers gelesen hat. Danle, fürs schreiben dürfen.
Frau Salome