Liebe Andrea,
erstmal danke für für deine ausführliche PN. Ich möchte versuchen, auf deine Fragen einzugehen. Natürlich unter Wahrung der Vertraulichkeit des geschriebenen (PN-) Wortes. Ich wähle den Weg, hier zu antworten, weil es möglicherweise für den einen oder anderen Mitbetroffenen ebenfalls relevant sein kann
Alles, was ich heute über die COPD weiß, beruht auf eigenen Erfahrungen, der gründlichen Recherche im I-Net und den Gesprächen mit Ärzten. Wobei der letztgenannte Punkt vielleicht 5 % ausmacht.
Fakt ist nunmal, wir sind unheilbar krank. Alle Massnahmen, die wir ergreifen, sämtliche Behandlungen durch Ärzte oder Therapeuten zielen nur auf eines ab: die Verbesserung der Lebensqualität. Und, glaub's mir...da gibt es jede Menge Stellschrauben, an denen sich drehen lässt.
Ich habe viele üble Phasen durchlebt, nachdem ich die Diagnose bekam.
Schockstarre!
Selbstvorwürfe!
Verzweiflung!
Selbstmitleid!
-und noch einiges mehr.
Ja, es war eine harte Zeit in diesen Jahren. Was habe ich dieses Sauerstoffgerät gehasst, das ich immer mit mir herumtragen muss, seit nun ungefähr 6 Jahren. Ständig bleibste mit diesem Schlauch irgendwo hängen, reißt dir das Teil abrupt aus der Nase, dass dir die Tränen in die Augen schießen. Und alle Leute in der Stadt gucken blöd, was der da wohl für einen Rüssel hat. Ein aufgewecktes Kind fragte mal seine Mom: " Mama, ist das Darth Vader?" Momente, in denen du einhalten musst, dem Rotzblag nicht eins über zu ziehen...
Vielleicht muss jeder chronisch Kranke, vielleicht musst auch du, Andrea, deine persönliche Krise durchleben. Auf jeden Fall wirst du einen Umgang damit finden müssen. Etwas, das sich im Laufe der Zeit entwickeln wird. Du wirst Erfolge erleben, Rückschläge durchleiden, all das wird in dir einen neuen Menschen wachsen lassen. Die Kraft, die mir heutzutage gegeben ist, ist das Resultat der gelebten Krisen. Das Überwinden von Schicksalsschlägen, Zeiten größter Unglücklichkeit, Lebensmüdigkeit, Depression. haben mich zu dem werden lassen, was ich heute bin: in mir lebt Frieden. Das hört sich sehr pathetisch an, aber ich glaube, das bringt es ziemlich gut auf den Punkt. Ja, ich habe mich damit ausgesöhnt. Die Sauerstofflasche ist mein "Freund", bleibe ich mal wieder hängen, schnaufe ich einmal tief durch, inzwischen kann ich tatsächlich fast frei von Angst leben. Denn ich habe viel über die COPD gelernt. Über meine COPD. Für Zu Hause habe ich mir ein fünffaches Sicherheitssystem zugelegt, mit dem ich praktisch niemals in die Situation geraten kann, plötzlich ohne Flüssigsauerstoff dazustehen. Und selbst wenn alle diese 5 Systeme versagen sollten, gibt es noch eine Nummer 6. Atemlosigkeit, kennt jeder. Fühlt sich fies an. Ein Erstickungsanfall mit auftretender Todesangst ist grausam. Das möchte ich nur noch möglichst selten erleben müssen.
Ich musste lerne, mein gesamtes Leben zu entschleunigen. Was für mich seinerzeit die Höchststrafe war. Ich, der in gesunden Zeit auf der Treppe immer 3 Stufen auf einmal nahm, braucht heutzutage ungefähr 15 Minuten, bis ich an meiner Wohnungstür im 2. Stock angekommen bin (leider ist unser Aufzug nicht immer so zuverlässig). Nach ungefähr 20 Metern Gehstrecke muss ich ca. 2 Minuten Pause machen, bis ich wieder normal atmen kann und der Pulsschlag sich beruhigt.
Jegliche Aktion muss ziemlich exakt durchgeplant sein. Spontane Aktionen sind praktisch unmöglich geworden. Zeit bekommt eine ganz neue Dimension.
Vor geraumer Zeit habe ich mir einen Leitsatz geschaffen:
'COPD-du kannst mich mal!'
Seitdem bin ich tiefenentspannt. Aus zum Teil leidvoller Erfahrung weiß ich: die Ärzte sind die Fachleute. Ich bin der Experte. Ich entscheide, welche Behandlungen ich zulasse -im weitesten Sinne. Und welche ich ablehne. Allein das ist für mich ein wesentlicher Baustein meiner neugelebten Form von Lebensqualität. Natürlich kenne ich diese "schwarzen Moment", auch heute noch. Jeden Tag Sonnenschein ist aber auch doof. Ein Unwetter über meiner Seele lässt sich nicht immer vermeiden. Aber ich habe gelernt und lerne immer noch, im Regen zu tanzen.
Du hast mich über den Verlauf meiner COPD gefragt?
Das soll bis hierher meine Antwort sein, mit einigen Facetten meiner Gedanken dazu, mit denen du hoffentlich etwas anfangen kannst. Ich bin überzeugt, dass diese gesamte Klaviatur an Emotionen, die du gerade durchlebst, ein wichtiger Bestandteil deines Verarbeitungsprozesses sind.
Mit deinen nun elf Tagen als Nichtmehrraucherin legst du dir selbst ein solides Fundament, auf dem du deine persönliche Art der Lebensqualität errichten kannst. Ich gratuliere dir von ganzem Herzen zu deinem Durchhaltevermögen. Weiß ich doch aus eigenem Erleben, wie herausfordernd diese ersten Tage sein können. Es fühlt sich zunächst fremd an, skurril. Wenn doch die Zigarette in allen Lebenslagen dazugehörte, wenn sich Stress, Kummer, Ärger, Freude, Lust so eng an die Zigarette geknüpft haben und diese plötzlich nicht mehr da ist, fühlt sich das sehr fremd an. "Das bin doch nicht ich," könnte man fast sagen. Doch! Auch das bist DU! Das bist du, aber ab sofort eben anders. Was sich über 38 Jahre aufgebaut hat, wird nicht in ein, zwei, oder 6 Wochen eine Revolution erfahren. Aber sie wird stattfinden, langsam zwar, aber stetig. Ein Lernprozess eben, der Zeit kostet. Und Geduld mit sich selbst. Bist du bereit, den Weg zu gehen?
Garantiert ist es ein Weg, auf dem du dich mit anderen Augen zu sehen lernst. Du wirst erfahren, wie großartig es ist, plötzlich Energien in sich zu spüren, die bislang nicht vorhanden waren. Du wirst viel mehr Zeit zur Verfügung haben. Wirst ausgeglichener, vielleicht sogar freundlicher, dir und anderen gegenüber. So vieles kommt in Bewegung, dass ich gar nicht alles aufzählen kann.
Liebe Andrea, was hältst du von der Idee, einen Abschiedsbrief zu schreiben? Der Titel könnte lauten:
"Abschiedsbrief an einen falschen Freund!" Dort kannst du alles niederschreiben, was dich derzeit umtreibt. Ziehe einen symbolischen Schlusstrich. Manche veröffentlichen diese Zeilen hier, andere legen ihn daheim gut weg, wieder andere verbrennen ihn als Ritual. So, oder so...der Effekt kann vieles freisetzen. Wie wär's?
Für heute möchte ich damit schließen. Ich wünsche dir weiterhin möglichst viel Kraft und good vibrations. Auch wenn's mal zwickt und zwackt, verliert sich das im Laufe der Zeit. Die Häufigkeit und die Vehemenz der Suchtattacken lässt nach, das ist sicher.
Bis zum nächsten mal
Grüße
Dein Meikel
:smileumarmung: