Ein Universitätsklinikum ist schon ein Faszinosum-irgendwie. Gigantisch!
Es ist wie eine Stadt in der Stadt. Von der Größe her irgendwas zwischen Castrop-Rauxel und Wanne-Eickel. Als Fremder biste hier ohne Navi verloren.
Im Foyer gibt es'nen Friseur und sogar einen kleinen Supermarkt. Wer es will, oder braucht, kann hier zum Beispiel eine Dose Bier kaufen, Stückpreis 2 €. Süßzeug und alle Zigarettenmarken.
Hier in dieser Welt wird die Bildungselite zur nächsten Ärztegeneration ausgebildet.
Wer das Abi mit Eins- Komma-und geschafft hat und dann -natürlich- Humanmedizin studiert, wer ungefähr ein Jahr lang halbwegs regelmäßig die Vorlesungen besucht hat, trifft irgendwann hier ein. An diesen Tagen ist Großkampftag für den hiesigen Zeugwart. Muss er doch auf einen Schlag Dutzende mit weißer Kleidung versorgen. All diese Milchbärte und die postpubertär-verpickelten Zahnspangenträgerinnen.
Jeder von ihnen bekommt sein Namensschild mit der Unterzeile: "Arzt im Praktikum".
Letzte Woche Mittwoch, in der Notaufnahme, lerne ich eine von ihnen kennen. Den Sauerstoff auf der Nase, liegend in der Notfall-Parzelle, atme ich um mein Leben und der Vorhang geht auf.
Eine junge, eine sehr junge Frau, ganz in weiß, stellt sich namentlich vor. Auf dem Schild an ihrer, nennen wir es "Brust", steht: "Arzt im Praktikum". Ich vermute, dass sie volljährig ist.
" Ich werde Ihnen jetzt Blut abnehmen," sagt sie. Ich bin kein einfacher Patient. Noch nie gewesen.
" Ist es für Sie das erste Mal?"-Frage ich. Dass ich diese Frage zuletzt an eine junge, sehr Frau gerichtet habe, ist mindestens 35 Jahre her. War auch in einem ganz anderen Zusammenhang.
Sie lächelt. Keine Zahnspange. "Das dritte Mal," antwortet sie. Los geht es.
Sie trifft mit der Hohlnadel sämtliche, nichtknöchernen Weichteile an meinem Unterarm. Eine meiner bleistiftdicken, blutführenden Venen war nicht dabei. Das Röhrchen bleibt leer.
"Last try", sage ich zu "Frau Doktor".
Dazu kommt es nicht mehr!
Ein weißgekleideter Mann, aus meiner Perspektive Zweimeter-Dreißig groß, schwebt durch den Vorhang. Ist das Gott?
"Mein Name ist Dr. xxx, Internist," sagt er. "Ich übernehme mal". Ich kenne diesen Mann nicht. Aber ich liebe ihn. Schon jetzt.
Mit der Lässigkeit eines Lucky Luke beendet er das Massaker und füllt die Röhrchen. Mit Blut. Meinem Blut.
"Rot und Blau gibt violett," denke ich, sauerstoffsaugend. Mit Blick auf meine Jeans. Es ist viel daneben gegangen bei "Frau Doktor". Egal. Gleich bekomme ich eh das Flügelhemdchen. Unisex. Was nicht mehr bedeutet, als daß Männer und Frauen darin alle gleichscheiße aussehen.
Und sonst?
8 Tage sind rum, mein Gegenüber (Heinz) durfte ich etwas kennen lernen. Heinz war der, der zu Hause mit dem 10-Meter Sauerstoff-Schlauch bis zum Balkon kommt, um dort zu rauchen. Damit die Tapete nicht gelb wird, sagte er.
Heinz ist weltoffen, liest jeden Tag Zeitung. Kennt sich mit seinen Fast-Siebzig aus, im Leben. Er erklärt mir: "Das Rauchen ist das nicht, bei mir. Nicht nur. Am schlimmsten ist der Russe. Die ganze gute Luft verpesten die mit ihr'm Gaspromm."
Heinz freut sich schon. Auf den 20. April. Da trifft er sich mit Freunden. "Kameraden", nannte er sie. Da feiern die Herren einen Geburtstag, einen berühmten. Heinz wird morgen entlassen. Das Jahr 2015 wird er mutmaßlich nicht lebend beenden.
Nächste Woche werde auch ich hier mein Bündel schnüren. Nahezu vollständig wiederhergestellt.
Zwei Vorsätze nehme ich aus dieser Zeit mit: Ich google den 20.4. Und will täglich Zeitung lesen. Das bildet.
Herzliche Grüße
Meikel