Liebe Seni,
lieben Dank für deine Zeilen, die mich tief bewegen.
Ich versuche mal deine Situation zusammenzufassen:
[i]- Du hast ein Studium abgeschlossen mit einem Diplom
- Du bist Erwerbsminderungsberentet und hast einen Grad der Behinderung auf Basis von Problemen mit deinem Selbstwert
- Beides - Diplom und Berentung - sagt mir, dass du schon älter bist
- Und wenn ich mich recht erinnere, dann gab es in deinem persönlichen Umfeld Leute mit Drogenexzessen, die ihre Sucht auf Basis der Aussage "Ich bin krank" weiter fröhlich ausgelebt haben.
- Letzteres hat dich sehr verärgert, denn du hast deine SELBSTWIRKSAMKEIT (man ist niemals NUR Opfer) entdeckt und dich "rausgezogen" aus dem Ganzen (Drogensucht, Hartz IV etc. - das hab ich nicht hier über dich gelesen)
- Du bist dir sicher, dass der Selbstwert der Dreh- und Angelpunkt ist und du arbeitest daran. Dennoch hast du immer wieder Selbstwertkrisen und hast deshalb einen 2 Stunden-Studentenjob angenommen, wo du "wieder" die Gedanken hast "Ich genüge nicht! Ich schaffe das nicht!"[/i]
Erstmal toll, dass du einen Mentor hast, der dich begleitet und das die Leute im Job wissen, dass du "krank" warst.
Ich denke, du weißt, dass das, was du da denkst, sogenannte "Glaubenssätze" über dich selbst sind, die nichts mit der Realität zu tun haben und die leider auch ein sehr negatives Selbstbild erzeugen können (es gibt ja auch positive Glaubenssätze wie "Ich bin vollkommen ok"!). Im Moment fällt mir ein, dass du darüber (= seit ich weiß, ich bin ok, so wie ich bin, geht es besser) geschrieben hast.
Ich kenne das natürlich auch (ich denke, fast jeder Mensch kennt das) ... solche negative Glaubenssätze, in Verbindung mit einer Grübelneigung (das ist typisch für Menschen, die zu Depressionen neigen) ... das ewige Gespräch im Kopf mit mir selbst ... in dem ich mich fertig mache, mir überlege, was schlehct an mir ist, was alles passieren kann, etc. etc..
Wenn man all diese Gedanken und Abläufe auf den Punkt bringt (.... etwas was mir persönlich immer hilft - grundlegende Erkenntnis), dann geht es für mich (vielleicht liege ich falsch) letztlich immer um Angst ... Angst zu versagen, Angst nicht auszureichen .... was immer in der Ablehnung durch andere endet .... und somit in Einsamkeit und Traurigkeit.
Für mich haben viele Menschen EINE GRUNDANGST vor Ablehnung (bzw. nicht wahrgenommen /ernst genommen werden, wie wir sind) und Einsamkeit, die uns traurig macht!
Und die, die die Grundangst nicht haben, haben ein sogenanntes URVERTRAUEN (in sich selbst) erhalten (in der Kindheit), weil sie schon als Kleinkind ihre Selbstwirksamkeit erleben durften (Eltern, die sie wahrnahmen, Aufgaben, die sie erfolgreich lösten und für die sie von ihren Eltern Lob erhielten (was heute meines Erachtens leider oft fehlt ist wertschätzende Kritik)) und von ihren Eltern grundsätzlich bedingungslos geliebt = anerkannt wurden.
Und jetzt kommt das Entscheidende: DIE SELBSTWIRKSAMKEIT!
Bis zu einem wirklich sehr gesunden Grad, kann man sich URVERTRAUEN selbst geben. Dazu müssen jedoch diese blöden, negativen Glaubenssätze überdacht und dadurch neu - positiv - formuliert werden. Und das wiederum gelingt nur mit Achtsamkeit, d.h. man/ICH
- ... muss ERKENNEN, wann dieses "Drecks-Radio Irriwahn (statt Eriwan)" im Kopf läuft und dann das Ganze dann radikal abwürgen - z.B. sowas sagen wie "Stopp jetzt, so ein Quatsch!"
- ... muss meinen Blick auf die OBJEKTIVE Realität lenken und das ist nicht einfach, denn wir neigen (aus biologischen Gründen) dazu "nur das Schlechte = für uns Gefährliche" zu sehen. Und da wir schon schlecht über uns denken, ist es uns unmöglich auch nur das geringste Positive an uns zu entdecken.
[b]Was hilft?[/b]
Mir half und hilft immer Tagebuchführen d.h. sobald ich ein Problem bemerke, welches ich bearbeiten will, schreibe ich Tagebuch (z.B. auch beim Rauchstopp so gemacht):
Ich stehe morgens auf und JEDEN MORGEN notiere ich als erstes meine aktuellen Gefühle (z.B. zufrieden) und schreibe Stichpunktartig runter, was gestern passiert ist.
Und dann frage ich mich ganz gezielt, was Positives in einem bestimmten Bereich passiert ist.
Mal ein anderes Beispiel als das Rauchen:
wenn ich mich einsam und ungeliebt fühle, dann frage ich mich, wo ich gestern solche Momente erlebt habe ... und siehe da, auf einmal finde ich welche z.B. Begegnungen auf der Straße, ein Lächeln ... was auch immer ... und nehme sie wahr und schon geht es mir besser.
Zurück zu dir: vielleicht schreibst du dir die Momente auf, in denen du etwas "geschafft" hast - im Haushalt und in deinem 2 Stunden-Job ... damit du erkennst, dass du doch etwas kannst.
Also, liebe Seni, ist länger geworden meine Antwort ... vielleicht helfen dir meine Gedanken ... auf alle Fälle schön, dass du da bist und ich schick dir ein generelles (nicht nur für den Rauchstopp)
[b]"Stay Sisu!"[/b]
Liebe Grüße
Micha